Die Hummel zog scheinheilig über den Grashalmen der großen Parkwiese ihre Kreise. Kurz ließ sie sich auf einem abgeknickten Gänseblümchen nieder und tat so, als ob sie ihr Hummel-Ding abziehen würde; herumsummen, Blüten bestäuben, Nektar einsammeln und diesen Kram. Aber in Wirklichkeit ließ sie ihr Umfeld nicht aus den Augen.
Ihr facettenreicher Blick erfasste die kleinen Menschengrüppchen, die sich um ihre Grills versammelt hatten und stickige Duftwolken produzierten, die durch den Park waberten. Einzelgängerische Sonnenfans, die ihre weißen Gliedmaßen wie jeden Frühling unbarmherzig der UV-Bestrahlung aussetzten und dabei abgesehen von gelegentlichen Wendungen regungslos auf ihren Decken lagen. Frisbee-, Federball- und Kubb-Spieler, die mit ihren explosionsartigen Rufen und ausschweifenden Bewegungen für Unruhe sorgten … aber eben auch für Ablenkung, was der Hummel im Gegensatz zu ihren Artgenossen sogar ganz recht war.
Sie schwang sich wieder in die Lüfte und klopfte sich den ekligen Blütenstaub von den Beinen. Dann nahm sie Kurs auf das glückliche Pärchen, das gerade mit dem Smartphone im Anschlag dem kahlköpfigen Nachwuchs begeistert die Aufmerksamkeit schenkte.
Ja, wackele nur deine ersten Schritte, Menschenkind, dachte die Hummel. Halte Mama und Papa schön beschäftigt.
Sie ließ sich auf dem Rand der Damenhandtasche nieder und spähte hinein. Bingo! Es gab ein kleines Innenfach, das eine dezente, aber verdächtige Ausbeulung vorwies. Die runde Silhouette unter dem schwarzen Stoff war neben dem Gerümpel in der Tasche verdammt leicht zu übersehen – aber als Profi erkannte es die Hummel sofort.
Ein kurzer Seitenblick, dann stieß sie sich ab und tauchte summend in das enge Seitenfach hinein.
Es war schummerig und es roch betäubend nach einem Gemisch aus Pfefferminze und Lederimitat. Doch davon ließ sie sich nicht abschrecken. Als sie die Stoffwände etwas auseinanderdrückte, konnte sie ganz unten einen silbernen Schimmer erkennen. Dort, wo sie zuvor die Ausbeulung gesehen hatte. Sie kroch weiter hinab und lauschte auf die dumpfen Geräusche der Außenwelt. Ja, lauf, kleiner Mensch. Noch einen Schritt, noch einen Schritt. Toll machst du das!
Jetzt war sie ganz dicht dran. Sie rutschte das letzte Stück hinunter und konnte dann bereits mit ihren Fühlern über das kalte Metall streichen. Sie fuhr ihren Rüssel aus, um den Geschmack zu überprüfen. Nickel, Messing, Kupfer und menschlicher Schweiß. Das ist es! Es war schon vorgekommen, dass sie sich von dem Äußeren täuschen lassen und nur so einen Plastik-Chip für den Einkaufswagen ergattert hatte. Doch dieses hier war die Beute, die sie suchte.
Sie zerrte, schob und drückte ihr ganzes Körpergewicht gegen die Münze, um sie in die richtige Position zu drehen. Als sie ihren pelzigen Bauch mittig darauf platziert hatte, musste sie nur noch mit ihren sechs Beinen um den Rand greifen und los ging es. Den Blick fest auf den Ausgang gerichtet flatterte sie mit den Flügel, soweit das enge Fach der Tasche es zuließ. Der Weg heraus war immer der schwierigste Part. Sie kniff den Rüssel zusammen, ihre Brustmuskeln vibrierten. Langsam quetschte sie sich nach oben, dem Licht entgegen – und draußen war sie!
Die frische Luft belebte ihre Sinne, was ihr einen regelrechten Adrenalin-Kick gab. Schnell gewann sie an Höhe, die Münze sicher im Griff. Die Menschen schenkten ihr natürlich keine Beachtung. Sie war ja nur eine Hummel. Nur das Kind schaute mit großen Augen in ihre Richtung. Grinsend hielt sie seinem Blick für einen Moment stand, während sie mit sicherem Abstand eine provozierende Schleife flog. Da schaust du, was, kleiner Mensch?
Es hob seine Hand, zeigte auf sie. „Da!“, machte es.
„Ja, eine Hummel, toll!“, antworteten die Eltern entzückt.
Und schon war die Hummel außer Reichweite, bevor die Erwachsenen begreifen konnten, was gerade passiert war. Euphorisch summte sie weit über den Köpfen der anderen Parkbesucher hinweg. Sie liebte diesen Moment!
Nach ein paar hundert Metern merkte sie dann deutlich das Ziehen in ihren Beinen und auch die Flügel wurden langsam schwer. Doch mit aller Zielstrebigkeit bugsierte sie ihren Schatz bis zu der Baumgruppe am Parkrand.
Erschöpft ließ sie ihre Beute auf den Münzstapel fallen, den sie hier zwischen den Blättern bereits angehäuft hatte, und setzte sich schnaufend daneben. Sie zählte noch einmal durch – keine schlechte Ausbeute für einen Tag. Das sollte erst mal reichen.
Sie blickte nach oben, zwischen den Baumkronen hindurch. Dem Winkel nach, in dem die Sonnenstrahlen auf ihre Augen trafen, musste er bald kommen. Sie gönnte sich ein paar Atemzüge, um wieder zur Ruhe zu kommen, während denen sie einfach die menschenleere Geräusch- und Geruchskulisse genoss. Eigentlich fehlt jetzt nur noch eines … Die Hummel rieb sich vor Vorfreude die beiden Vorderbeine.
Und schon war die Idylle war wieder vorbei.
Er näherte sich wie Gewitter, das aus der Ferne durch den Wald rollte. Mit jedem Schritt musste er wohl tausend Halme umknickten und Zweige zerbrechen. Er war ein äußerst unangenehmer Mensch. Trotzdem verzog sich der Rüssel der Hummel zu einem Lächeln.
Da zeigte er sich nun zwischen den Bäumen. Er verharrte kurz, dann beugte er sich zu dem Münzstapel hinunter und hob sie mit seiner riesigen Hand auf. Erst sah es so aus, als würde er sie wiegen, um den Wert abzuschätzen, doch schon gleich schob er sie in seine Hosentasche.
„Gut gemacht“, sagte er.
Der Hummel schwellte vor Stolz die Brust. Es hatte also dieses Mal wirklich ausgereicht. Endlich würde er sein Versprechen erfüllen. Sie schüttelte ihre erschöpften Beine aus und lockerte die Flügel. Sie war bereit.
Der Mann hatte unterdessen eine flache Schale aus seinem Rucksack geholt und neben sich auf den Boden gestellt. Nun griff er erneut in seine Tasche und zog eine Bierflasche heraus. Er öffnete sie mit einer geschickten Handbewegung an der Rinde des nächsten Baumes und goss einen Teil der schäumenden Flüssigkeit in die Schale. Dann richtete er sich wieder zu seiner vollen Größe auf und nahm selbst einen großen Schluck.
„Viel Spaß“, sagte er und verschwand wieder geräuschvoll zwischen den Bäumen.
Als er außer Hörweite war, ließ sich die Hummel langsam in das kühle Bierbad gleiten; mit dem Hinterteil zuerst, die Vorderbeine lässig über den Schalenrand gelegt. Der Geruch hatte längst ihre Sinne umnebelt und sie schwebte selig grinsend im siebten Himmel. Als ihr Bauch ganz bedeckt war, entfuhr ihr ein wohliges Seufzen.